Einige Hörbeispiele zur Auswahl (wird gelegentlich ergänzt)
Gebaute Interviews
Generalstreik?!
Generalstreik?!
KurzFeature von Axel Gauster
© 2011 Axel Gauster
Online-Text, Foto und Sprecher: Axel Gauster
Länge: 14:30 Minuten
mp3pro; 8,71 MB
Der Generalstreik wird auch mit dem Wort politischer Streik gleichgesetzt. Und es gibt einen großen Unterschied zwischen diesem und dem arbeitsrechtlichen Streik zur Durchsetzung von besseren Arbeitsbedingungen oder tariflichen Lohnerhöhungen. Der wird gewerkschaftlich organisiert und ist gesetzlich verankert. Der politische Streik hingegen will das Grundgesetz, das soziale Gefüge und die Demokratie vor Mißbrauch und Zerstörung schützen.
Und dann gibt es noch die Internationale Arbeitsorganisation mit Sitz in Genf. Eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Sie legt in ihrem Übereinkommen Nummer 87 die Vereinigungsfreiheit und in Nummer 98 die Versammlungsfreiheit fest. Das Verbot von Streiks zum Schutz sozialer Errungenschaften oder demokratischer Verfassung gilt hier als eine schwere Verletzung dieser Übereinkommen.4)5)
Und so gilt: Streikrecht ist Richterrecht. Das heisst, die von einem Streik betroffenen Arbeitgeber können via Gericht eine einstweilige Verfügung beantragen und der streikorganisierenden Gewerkschaft per Gerichtsbeschluss untersagen, einen bestimmten Streik durchzuführen.
Ruft eine Gewerkschaft zu einem Generalstreik auf, so hat das weitreichende Konsequenzen. Da dieser Streik keine Rechtsgrundlage besitzt, können die von diesem "Protest" betroffenen Arbeitgeber und Organisationen Schadenersatz für die durch diesen Streik verursachten Schäden verlangen. Aber auch die an solch einem Streik beteiligten Beschäftigten haben mit Konsequenzen zu rechnen. Abmahnungen oder Kündigungen sind mögliche Folgen. Immerhin haben die am Streik beteiligten Menschen rechtswidrigerweise ihren Arbeitsplatz verlassen.
Die Gefahren eines politischen Streiks sollen aber auch nicht verschwiegen werden. Denn diese Proteste können auch ungeordnet vonstatten gehen oder ihr Ziel überhaupt nicht erreichen. Wodurch es dann in einer Gesellschaft zu chaotischen Zuständen kommt. Anarchie, Rache der Mächtigen aus Wirtschaft und Politik, sind mögliche Folgen eines gescheitern Generalstreiks. Zerfall der sozialen Strukturen und sich verschlechternde Arbeits- und Lebensbedingungen sind ebenfalls denkbare Auswirkungen. Nicht zuletzt ist dadurch auch die Demokratie an sich gefährdet.
Ein gutes Beispiel über die Auswirkungen eines gescheiterten Generalstreiks beschreibt der französische Schriftsteller Emile Zola in seinem Roman Germinal aus dem Jahre 1885.
Geschildert wird das Elend und die Unterdrückung von Bergarbeitern des nordfranzösischen Kohlereviers. Ihr Aufstand um das Jahr 1880 führt die menschliche Tragik dieser Proteste drastisch vor Augen. Der letztlich gescheiterte Aufstand vergrößert zudem die Kluft zwischen Reich und Arm und treibt noch größere Gräben zwischen den Klassen.6)
Wenn überhaupt ein rechtliche Regelung zum Generalstreik vorhanden ist, so am ehesten im Grundgesetz Artikel 9 Absatz 3 - die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“7) Hier ist allerdings nur der Begriff der Vereinigungsfreiheit geregelt. Das heißt, es können sich auch Gewerkschaften bilden, die ihrerseits unter anderem Streiks organisieren dürfen, um tarifvertragliche Abschlüsse herbeizuführen. Trotzdem ist auch dies alles Richterrecht beziehungsweise Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Eine weitere rechtliche Regelung befindet sich um Grundgesetz Artikel 20 Absatz 4 - das Staatsstrukturprinzip und das Widerstandsrecht: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“8) Wird die bürgerliche Demokratie angegriffen, so ist ein Widerstand gegen diesen Angriff möglich. Dazu zählen dann nicht nur der Kampfstreik, sondern auch der politische Demonstrationsstreik. Diese Maßnahmen sind jedoch nur in einer äußersten Notsituation möglich.9)Und auch das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil zum KPD-Verbot im Jahre 1956 einen Anforderungskatalog aufgestellt, mit dem das Widerstandrecht verbunden ist.
Das Widerstandsrecht ist ein Notrecht, um die Rechtsordnung wiederherzustellen. Das bekämpfte Unrecht muss offenkundig sein.Die vorhandenen Rechtsmittel, die eine Rechtsordnung zur Verfügung stellt, sind wirkungslos – es bleibt nur der Widerstand als letztes Mittel, um das Recht zu erhalten oder wiederherzustellen.10)Bereits in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte aus dem Jahre 1789 gab es die Bestrebung, das Widerstandsrecht zu verankern.
Die Erfahrung mit der Weimarer Republik 1918-1933 und dem Nationalsozialismus 1933-1945 bewogen die Staatsrechtler der bundesdeutschen Nachkriegszeit, das Widerstandsrecht in den jeweiligen Landesverfassungen und auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu verankern.
Im Jahre 1952 fand eine zwei Tage andauernder Proteststreik der Zeitungsdruckerein statt. Ziel: Die Verhinderung der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetztes durch den Bundestag. Dieser Protest gilt als ein politisch motivierter Streik in Deutschland.
Aber auch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts haben politische Proteststreiks das Leben der Menschen in Atem gehalten.
Ein klassisches Beispiel für einen Generalstreik war der sogenannte Kapp-Lüttwitz-Putsch am 15. März 1920.
Der erste Weltkrieg war zuende. Die Weimarer Republik gegründet und sie machte vorsichtige Schritte. Die gesellschaftlichen Verhältnisse aber waren nicht gefestigt. Vielfältige politische Strömungen erschwerten die ersten demokratischen Schritte. Hohe Reparationsverpflichtungen, die Reduzierung der Reichswehr auf 100.000 Berufssoldaten und die Auflösung der Freikorps im Rahmen des Versailler Vertrages belasteten die junge Demokratie. Der Krieg hatte viele Menschenleben gekostet. Diejenigen ehemaligen jungen Soldaten, die diesen ersten modernen und grausamen Krieg überlebten, waren traumatisiert oder körperlich versehrt. Außerdem kannten sie nichts weiter als Krieg. Im Alter von Mitte Zwanzig hatten sie keinen wirklichen Beruf erlernt und einen Teil ihrer jugendlichen Jahre nur menschliche Abgründe erlebt. Ohne wirkliche Orientierung fühlten sie sich in dieser neuen Demokratie verloren. Dies waren nur einige Probleme, denen sich die Weimarer Republik ausgesetzt sah.
So hat dieser zuerst gelungene Generalstreik doch einen bitteren Nachgeschmack. So war die Demokratie zwar gerettet; die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen waren im Großen und Ganzen nicht erreicht worden.
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